Alex Paxton: How to Eat your Sexuality (EA)
Monika Voithofer
Als ein musikalischer Allesfresser lässt sich der 1990 geborene britische Komponist und Posaunist Alex Paxton trefflich charakterisieren. Der „System Crasher of Genre“, wie er in den Medien gerne bezeichnet wird, sei also jemand, der „alle denkbaren Genre-Grenzen sprengt“. Und in der Tat, ihm schmecken viele Stile. Ob Klassik, Jazz, Pop, Folk oder Camp, von Hildegard bis Harry Styles – seine Musik strotz vor Verquickung und einer großen Portion an unmittelbarer Sinnlichkeit.
So auch sein bislang größtes, abendfüllendes Werk für Orchester und Stimmen, How to Eat your Sexuality, in dem Paxton eine Musik zu kreieren sucht, die, in eigenen Worten, „so sinnlich und verführerisch ist wie Sexualität oder das Verzehren einer Erdbeere“. Doch weder Sexualität noch der Akt des Essens spielen darüber hinaus eine bedeutsame Rolle im Anfang Februar beim Stuttgarter Festival ECLAT durch das Klangforum Wien und die Neuen Vocalsolisten uraufgeführten und nunmehr zu seiner österreichischen Erstaufführung gelangenden Stück.
Als ein Triptychon mit drei in sich geschlossenen Teilen – Just Touch, Rainy Wet Hair, Breath Share und Falling Smile Clusters, Streaming – ist das Werk konzipiert. Den Anfang machen vier A-cappella-Songs, in denen sich die Sänger:innen nur durch Verstärkung von zugespielten Samples in extremen Lagen zu artikulieren haben – mal dolce, mal zungenrasselnd, mal jodelnd, mal à la Bobby McFerrin, mal mit Kazoo, zuweilen gar „wie ein verrücktes Kamel, das sich für einen Hubschrauber hält“ oder winselnd wie ein „Hundewelpe, der einen Keks will“. Einen gehaltvollen Erzählstrang sucht man dabei vergebens. Die aus Alltagssituationen und -konversationen entnommenen Texte sind in der Art eines Bewusstseinsstroms ohne Sinnzusammenhang aneinandergereiht. Die Wörter schmiegen sich dabei an die Melodie an und werden zu geformtem Material, in dem nur mehr ihre rein sinnliche Erscheinung von Bedeutung ist.
Das Orchester übernimmt im zweiten Teil Rainy Wet Hair, Breath Share, um episodenhafte, schrill-fröhlich-cartooneske Klangtapeten zu malen. Klare melodische Linien werden figuriert und diverse Klangwelten miteinander konfrontiert. Nicht zuletzt haben hier auch die Instrumentalist:innen tonmalerisch zu vokalisieren, um ein kitschiges Geblubber und Gebrabbel im besten Sinne des Wortes anzustimmen.
Im gemeinsamen Tutti des Schlussparts tut sich das Kolorit eines bunten Jahrmarkttreibens irgendwo zwischen Coney Island und Wurstelprater auf. Apropos Jahrmarkt: Schon Igor Strawinski antizipiert in Petruschka (1911) eine postmoderne Collagen-Technik, wie sie auch in Paxtons Stück durch die Verquickung diverser Stile Anwendung findet. Noch mehr lässt sich das für Strawinskis Neoklassizismus typische Parodieverfahren, illustriert durch repetierende musikalische Motive und mechanische Verfremdung bzw. Übertreibung von Stilmodellen, in Paxtons Komponieren festmachen.
In unserer Schnelllebigkeit im sogenannten Informationszeitalter werden wir, so der Kultursoziologe Andreas Reckwitz, mit einer „Überfülle von visuellen und schriftlichen Zeichen, einer hypertextuellen Opulenz semiotischer Möglichkeiten“ konfrontiert. Es herrsche hier „Unabgeschlossenheit und Kombinationszwang, damit eine Konkurrenz um Aufmerksamkeit“. Eine derartige hypertextuelle Opulenz und ein Kombinationszwang diverser Stile ist es auch, der uns in Alex Paxtons How to Eat you Sexuality um die Ohren fliegt. Unmittelbar, unschuldig und unverhohlen. Das Stück ist, wenn man so will, eine künstlerische Bestandsaufnahme der Gegenwart, die für manche leichter zu verdauen ist als für andere.